Computerspiele

Computerspiele sind fester Bestandteil des medienkulturellen Alltags. Sie prägen nicht nur den Umgang mit digitalen Medien und die Art und Weise, wie wir Spielen verstehen, sondern entfalten auch eine hohe allgemeinkulturelle Prägekraft. Folglich haben Computerspiele in Deutschland seit 2008 auch den Status eines Kulturguts inne (vgl. Ledder 2016: 271).
All dies macht Computerspiele zu einem solch bedeutsamem Gegenstand, dass sie (theologisch-)ethisch nicht unbeachtet bleiben können.
Der Begriff Computerspiel wird im Folgenden verwendet als (spiel-)konsolenunabhängiger Überbegriff für alle Arten von Computer- oder Videospielen.

    Basisinformationen

    a. Zahlen, Daten, Fakten

    34,3 Millionen und damit 40 % der in Deutschland wohnenden Personen spielen in ihrer Freizeit Computerspiele – durchschnittlich an 3,9 Tagen pro Woche mit 115 Minuten werktags und 156 Minuten am Wochenende (vgl. DAK 2016). Dabei ist die Geschlechtsaufteilung mit 18 Millionen männlichen (52 %) und 16,3 Millionen weiblichen (47 %) SpielerInnen nahezu ausgeglichen. Das durchschnittliche Alter der deutschen SpielerInnen liegt bei 36,1 Jahren und stieg seit 2013 kontinuierlich an (vgl. Puppe 2018). Insgesamt entstand dadurch im Jahr 2017 – je nach Quelle – ein Gesamtumsatz von 3,3–4,5 Mrd. Euro. Mit einem durchschnittlichen Jahreswachstum von 6,4 % wird ein Anwachsen dieses Umsatzes auf 6,2 Mrd. Euro im Jahr 2022 prognostiziert (vgl. PricewaterhouseCoopers 2018). Die weltweit meistverkauften Computerspiele aller Zeiten sind dabei Tetris, Minecraft und GTA V (vgl. Redaktion 2018). Die weltweit meistgespielten Computerspiele 2018 waren Fortnite und Minecraft – ersteres mit 78,3 Millionen monatlichen SpielerInnen und 200 Millionen registrierten NutzerInnen (vgl. Bailey 2018), zweiteres mit 91 Millionen monatlichen SpielerInnen und einer Gesamtzahl registrierter User von ca. 150 Millionen (vgl. Zwingmann 2018).


    b. Überblick über die Game Studies

    Die Game Studies sind ein junges, multi- und interdisziplinäres Forschungsfeld, das sich durch seinen gemeinsamen Bezug auf das Thema der Computerspiele konsolidiert. Ihrem Gründungsmythos entsprechend, entstanden sie aus dem grundlegenden Streit zwischen Ludologen und Narratologen, wobei erstere das Computerspiel als digitale Variante des Spiels deuten, zweitere es als interaktive Erzählung auffassen. 
    Neben diesen beiden "mittlerweile schon ‚klassischen‘ […] Fragen nach der Ludizität und Narrativität[,] geht es um die Medialität und Intermedialität, die Bildlichkeit und Auditivität, um Darstellungen der Geschichte und des Designs des Computerspiels, um den Einfluss auf Identitäts- und Genderkonstruktionen und eine Diffusion in die Pop(ulär)kultur" (Beil 2013: 21).


    c. Ethische Fragestellungen

    Die (massen-)medial am häufigsten aufgeworfenen und von Seiten der Politikmachenden aufgegriffenen ethisch-relevanten Themen bzw. Anfragen bzgl. Computerspiele betreffen: deren virtuelle Gewaltdarstellungen, deren Suchtpotential sowie deren angebliche verdummende Wirkung. Im Folgenden werden diese drei Themen deshalb exemplarisch beleuchtet, um die mediale Darstellung resp. die bestehenden Vorurteile mit wissenschaftlich-fundierten Fakten abzugleichen.

    i. Gewalt

    Seitdem es Medien gibt, gibt es Diskussionen über deren Gewaltaffinität – waren es anfangs Romane, dann Filme und Serien, so sind es in letzter Zeit Computerspiele (vgl. Gudehus & Christ 2013: 263–305; Venus 2018). Dabei stellt sich die Frage der gewalterzeugenden Wirkung von Computerspielen in regelmäßigen Intervallen je neu – gehäuft nach dramatischen Gewaltexzessen wie Amokläufen o.ä.
    So zeigte bspw. die N24-EMNID-Umfrage kurz nach dem Amoklauf von Winnenden 2009, dass mit 34 % die größte Gruppe der Befragten gewaltverherrlichenden Computerspielen die Schuld an der Tragödie gab und sich insgesamt 69 % für ein staatliches Verbot von Ego-Shootern aussprachen (vgl. Groß 2009). Ähnliche Schuldzuweisungen äußerte auch Präsident Trump nach dem School Shooting von Parkland, Florida – dem verheerendsten des Jahres 2018 (vgl. Ducharme 2018).
    Öffentlich wird ein klarer Zusammenhang zwischen virtueller und realer Gewalt gesehen und Computerspielen eine gewalthervorrufende bzw. -fördernde Wirkung zugeschrieben. In den Medien wird diese Sichtweise aufgegriffen und (meist unkritisch) verbreitet und auch in der Politik wird diese Sichtweise tradiert und der Ruf nach einem gesetzlichen Verbot sog. "Killerspiele" anlassgebunden laut. Doch blickt man in die Medienwirksamkeitsforschung, die sich u.a. mit diesem vermeintlichen Zusammenhang befasst, zeigt sich ein wesentlich uneinheitlicheres Bild: "Eine direkte und eindeutige kausale Verbindung zwischen symbolischer Gewalt und gewalttätigen Verhaltensweisen ist sehr schwer zu erfassen. Die psychologische Forschung kommt entsprechend zu unterschiedlichen Ergebnissen." (Ledder 2016: 272). Zudem gilt es, weiter zu differenzieren zwischen verschiedenen Arten der dargestellten Gewalt und sogar der "stilistischen Varianten von Tötungssimulationen" zu unterscheiden, da diese mit unterschiedlichen Wirkungen in Zusammenhang stehen (vgl. Venus 2018: 339–341).

    ii. Sucht

    Den Vorwurf der Suchtgefahr betreffend, nahm die American Psychiatric Association (2018) tatsächlich im Jahr 2013 die Internet Gaming Disorder (IGD) in ihr Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) auf und klassifizierte sie damit als psychische Suchterkrankung. Im Juni 2018 präsentierte auch die World Health Organisation (2018) eine Vorabversion ihrer ICD-11, in der sie unter der Signatur 6C51 die Gaming Disorder listet. Beide ordnen der Gaming Disorder dabei ein Computerspielverhalten zu, das über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg entweder durchgehend oder episodisch-wiederkehrend folgenden Kriterien entspricht: "1) impaired control over gaming (e.g., onset, frequency, intensity, duration, termination, context); 2) increasing priority given to gaming to the extent that gaming takes precedence over other life interests and daily activities; and 3) continuation or escalation of gaming despite the occurrence of negative consequences" (WHO 2018, 6C51).
    Legt man diese Definitionen an, so stellt man "je nach Methode eine Häufigkeit von 0,8 % in Italien bis 26,7 % in Hong Kong für Formen des pathologischen Spielens fest; dies wird häufiger Männern als Frauen attestiert" (Ledder 2016: 271).
    Solche Zahlen wecken Kritik: von medizinischer Seite, da o.g. Definition erstens auf einer "weak scientific basis" beruhe und somit das Risiko für "abuse of diagnoses" schaffe (vgl. van Rooij et al. 2018) und zweitens nicht klar sei, ob Computerspielsucht "eine eigene Form von Abhängigkeit ist, oder als eine sekundäre Abhängigkeit als Ausdruck anderer, als pathologisch definierter Zustände auftritt" (Ledder 2016: 271) – von soziologischer Seite, da diese Klassifikation dazu beitrage, auch normales Spielverhalten zu stigmatisieren bzw. zu pathologisieren (BBC News 2018) und den unhaltbaren Mythos des "vereinsamten Spielers" schaffe (Ledder 2016: 269).

    iii. Verdummung

    Ein letztes Vorurteil gegenüber Computerspielen ist, dass sie dumm machen und die Noten von SchülerInnen negativ beeinflussen.
    Während die vielzitierte Studie von Zhou et al. (2017) sowohl im Quer- als auch im Längsschnitt eine Korrelation zwischen geringem bzw. abnehmendem Gehirnvolumen und exzessivem Computerspielen beobachtete, stellte im Gegenzug dazu die Metastudie von Pallavicini, Ferrari, and Mantovani (2018) einen Zusammenhang von Computerspielen und gesteigerter kognitiver und emotionaler Fähigkeiten bei (v.a. jungen) Erwachsenen fest. Entgegen beider Ergebnisse konnten die Studien von von Gnambs and Appel (2017) und von Sala, Tatlidil, and Gobet (2018) keine kausale Verbindung zwischen Computerspielen und (verbesserten) kognitiven Fähigkeiten feststellen.
    Diese Ergebnisse aufnehmend, legen andere Studien nahe, dass die Auswirkungen des Computerspielens auf das Gehirn sowohl von der Art der Spiele (Aliyari et al. 2018) als auch von der Art und Weise des Spielens (West et al. 2017) abhängen. 


    d. Jugendschutz

    Um o.g. Herausforderungen zu begegnen, ist die Verkaufsfreigabe von Computerspielen in der Bundesrepublik Deutschland "durch den Jugendmedienschutz geregelt, gesichert durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes sowie § 1 Abs. 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetz" (Ledder 2016: 272). Dabei werden von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) anhand von rund 20 Kriterien rechtlich bindende Altersfreigaben für die jeweiligen Spiele vergeben (vgl. Sickmann 2018). Zudem gibt es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (2016), die auf Antrag von Behörden oder Jugendschutzorganisationen Computerspiele auf den Grad ihrer Jugendgefährdung hin überprüft und ggf. indiziert.
    Neben den deutschen Institutionen gibt es seit 2003 das Pan European Game Information (PEGI), seit 2013 die International Age Rating Coalition (IARC). Ersteres ist ein europaweites Alterseinstufungssystem für Computerspiele, zweiteres dessen weltweites Pendant.

    Im Folgenden wird die fachwissenschaftliche Debatte mittels eines Dreierschritts erläutert, ehe in einem vierten Schritt eine theologische Zuspitzung geschieht. Zu Beginn werden die Game Studies erweitert vorgestellt, um einen grundlegenden Eindruck vom Computerspiel zu vermitteln. Anschließend wird der computerspielethische Ansatz von Sicart vorgestellt, weil dieser die erste, umfassende Computerspielethik war und als solche bahnbrechende Wirkung erzielte. Da es sich bei Sicart um einen Ansatz handelt, der die Ethizität von Computerspielen (primär) aus deren Spielregeln herleitet, wird als Gegenmodell anschließend das sog. Gamer’s Dilemma behandelt, das die ethische Wertung von Computerspielen an deren Inhalte knüpft. Abgeschlossen und gekrönt wird die Debatte mit Impulsen und Fragestellungen aus theologischer Perspektive.


    a. Game Studies

    i. Definitionsversuch: Das "Wesen" des Computerspiels

    Die beiden Definitionsversuche des o.g. Gründungsmythos erweisen sich im gleichen Atemzug als zu weit wie zu eng: Es gibt einerseits Computerspiele, die nicht der Definition entsprechen – z.B. Tetris als Computerspiel ohne interaktive Erzählung –, wie es andererseits audiovisuelle Medien gibt, die der Definition entsprechen, jedoch gemeinhin nicht als Computerspiele anerkannt werden – z.B. Black Mirror: Bandersnatch als interaktive Erzählung (vgl. Slade & Brooker 2018).
    Nach dem Scheitern dieser beiden Definitionsversuche, vermehrte sich die Zahl der Definitionsangebote zunehmend. Neben informatischen, philosophischen, kulturwissenschaftlichen u.v.a.m. existieren auch ästhetische Ansätze. Neben hybriden gibt es clusterhafte bzw. typologische Herangehensweisen, ebenso wie dekonstruktivistische und quasi-dialektische Ansätze, die auf eine Dynamisierung und stetige Vermittlung von einzelnem Computerspiel und Definition zielen (vgl. Feige 2015).

    ii. Spielerleben

    Besonders zentral für das Computerspiel ist das Spielerleben – erst durch den Prozess des Spielens wird dessen Code in seine Aktualität als Computerspiel überführt (vgl. Sicart 2009: 30). Dieses wird durch einen Involvementprozess hervorgerufen, kann jedoch durch Störungen auch unter- oder abgebrochen werden. 

    Involvement und Flow

    Involvement – als Synthese der Konzepte Interaktivität (aktiv) und Immersion (passiv) – bezeichnet das spielkonstituierende Rückkopplungsgeschehen zwischen SpielerInnen und Spiel, im Zuge dessen der Leib der SpielerInnen in das Spiel einbezogen wird. Dieser Einbezug findet mittels Abbildung des leiblichen Körpers auf den Datenkörper bzw. Avatar (vgl. Beil & Rauscher 2018) statt, "welcher dabei als eine arbiträre, symbolische (Re-)Konstruktion von Blickwinkel und Bewegung des physischen Körpers agiert" (Neitzel 2018: 222). Zum Erreichen dessen werden verschiedene Immersionstechniken eingesetzt, wobei deren Zahl und Ausdifferenzierung stets zunimmt. Während Ryan (2001) nur Raum, Zeit und Emotion kannte, kennt Neitzel (2018) insgesamt acht solcher Involvierungsmodi: räumlich, temporal, sensomotorisch audiovisuell, aktional, emotional, narrativ, sozial und ökonomisch (223–232). Neue Immersionsmöglichkeiten ergeben sich aktuell vor allem durch die zunehmende Erforschung von Virtual Reality und Brain-Computer-Interfaces (Kerous, Skola, & Liarokapis 2017).
    Gelingt all dies und findet ein Leibeinbezug statt, kommt es zum sog. Flow, "in den eine Person gerät, wenn sie eine Aktivität ausführt, bei der die Anforderungen [des Spiels] genau mit ihren Fähigkeiten zusammenpassen, sodass eine ‚Verschmelzung von Handlung und Bewusstsein‘ stattfindet" (220). Diese flowhafte Verschmelzung findet dabei als uneigentliche (Halb-)Identifikation statt: als Identifikation mit dem Avatar inkl. Leibeinbezug und "Verschmelzung von Handlung und Bewusstsein" auf der einen Seite, als Bewusstsein einer Distanz zum Avatar auf der anderen Seite. Als Folge werden alle Handlungserlebnisse immer zugleich doppelt, als Erlebnisse der SpielerInnen und als Erlebnisse des Avatars erfahren.

    Störungen des Computerspiels

    Das Spielerleben mit seiner uneigentlichen (Halb-)Identifikation kann durch unanime Störungen im Spiel durchbrochen werden. Als Dissolvementprozesse wirken sie dem Involvement entgegen und verorten sich entweder auf der Oberfläche der Spielwelt (Bugs, Glitches), in der Spieldynamik bzw. im Gameplay-Zyklus (Bugs, Abstürze, Glitches), in einem unadäquaten Spielen anderer SpielerInnen (Cheating) oder in einer schlechte Datenübertragung (Lags) hervorgerufen werden (vgl. Bojahr 2012).

    iii. Gamification, eSports, Transmedialität, kultureller Einfluss

    Seit ca. 2010 gewinnt der Begriff Gamification an Popularität, um Übertragungsprozesse von Computerspielelementen in andere Kontexte zu beschreiben. Ziel dabei ist stets eine "Verhaltensoptimierung" durch behavioristische Steigerung der extrinsischen Motivation. Erreicht wird dies durch Zuschreibungen bestimmter (Negativ-)Punktwerte für bestimmte Verhaltensweisen – ergo ein Quantifizier- und Messbarmachen dieser. Mittels der durch Tätigkeiten erworbenen Punkte können anschließend Belohnungen o.ä. freigeschaltet werden oder das eigene Verhalten in einem kompetitiven Leaderboard mit anderen verglichen werden (vgl. Raczkowski & Schrape 2018).
    Weiterhin hat sich der sportliche Wettkampf untereinander in spielinternen Multiplayermodi als eSport etabliert und gewinnt zunehmend an Popularität. Als Individual- wie als Mannschaftssport betrieben, organisiert er sich in Verbänden und Organisationen, die regelmäßig spielspezifische Wettkämpfe – teilweise um Preisgelder in Millionenhöhe und vor riesigem Publikum – abhalten (vgl. Fletcher 2018).
    Darüber hinaus verbinden sich Computerspiele mit anderen Medien zu transmedialen Angebotskombinationen und strahlen so auf vielfältigen Wegen in die (Jugend-)Kultur aus (vgl. Schmidt 2018). So werden sog. LetsPlay-, Game Review- und Wettkampvideos auf Youtube und Twitch gestreamt und erreichen außerordentlich hohe Klickzahlen. Über die Computerspielszene hinausreichende Ausstrahlung haben Computerspiele über Phänomene wie bspw. Cosplay oder durch virale Trends wie Fortnite-Tänze.


    b. Ethik der Computerspiele I: Regeln

    In seiner einflussreichen Ethik der Computerspiele geht Sicart (2009) von der "ethical game experience" (2) aus, fragt nach deren Zustandekommen und entwirft von daher Kriterien der Ethizität dieses Computerspielerlebnisses.
    Voraussetzung und erste Stütze dieses Ansatzes ist eine informationsphilosophische Gesamtperspektive (vgl. Floridi 2010), welche es ihm erlaubt, mit einem angemessenen Level an Abstraktion die Vernetztheit und das Aufeinander-Bezogen-Sein sowohl der technischen als auch der informatischen Komponenten und der menschlichen SpielerInnen offenzulegen.
    Die zweite Stütze seiner Betrachtung liegt in der Tugendethik, mithilfe derer Sicart die ethische Relevanz des Spielerlebnisses und der innerhalb des Spiels getroffenen Entscheidungen theoretisch einholt und rückbindet. Diese findet ihren zentralen Ausdruck im sog. Ludic Hermeneutic Circle.

    i. "Computer Games as Designed Ethical Systems"

    Den Status als (mögliche) Designed Ethical Systems schreibt Sicart Computerspielen aufgrund ihrer Regelstrukturen zu. Regeln fungieren erstens nämlich als handlungseröffnende bzw. -ermöglichende oder gar -erzwingende Strukturen, über welche zweitens bestimmten spielinternen Handlungen Bedeutung verliehen und damit zugleich Werte kommuniziert werden. SpielerInnen können diesen Regeln nur folgen und sich innerhalb des von ihnen eröffneten Handlungs- und Entscheidungskorridors bewegen. In dieser (bedingten) Offenheit des Computerspiels liegt seine Ethizität begründet, da die SpielerInnen die Verantwortung für ihre Entscheidungen und Handlungen wie deren Folgen zu tragen haben.
    Neben den Regeln spielen die Spielwelt und ihre repräsentationalen Aspekte – ihr Design, ihre Grafiken und ihre Inhalte – nur eine sekundäre Rolle. Nur insofern sie Träger der handlungsleitenden Regeln sind, kommt ihnen ethische Relevanz zu. 

    ii. The Ludic Hermeneutic Circle I

    Als "Herzstück" der Untersuchung setzt der Ludic Hermeneutic Circle die am Spielprozess beteiligten und sich durch den diesen Prozess gegenseitig konstituierenden Akteure in ein Verhältnis. Bei diesen Akteuren handelt es sich um folgende vier, die allesamt verschiedene, wechselseitig aufeinander bezogene Aspekte einer einzigen spielenden Person bezeichnen:

    1.  Subject External to the Game als abseits des Spiels stehende Person in ihrer kulturellen und gemeinschaftlichen Einbettung, ihrem individuellen Charakter und ihren Werten und Normen.
    2. Player Subject als Person, die sich im Prozess des Spielens durch die Spielerfahrung und die spielinternen Handlungsanforderungen als eigener "mode of being that takes place in the game" (11) konstituiert. Sie ist verantwortlich für die Wahl ihrer Handlungen wie deren Folgen und die aus ihnen erwachsenden Werte.
    3. Individual Player als SpielerIn im Horizont ihrer bisherigen Computerspielerfahrungen, aufgrund derer sie eine Ahnung von eventuellen Handlungsmöglichkeiten wie von deren potenziellen Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf hat.
    4. Community Player als in eine Community – verstanden als spielbezogene Aushandlungsgemeinschaft bestimmter Werte und Normen – einbezogene/r SpielerIn.


     

    Bild 1: The Ludic Hermeneutic Circle (Sicart 2009, 122)
    Bild 1: The Ludic Hermeneutic Circle (vgl. Sicart 2009 122)

    Der Ludic Hermeneutic Circle eröffnet sich dadurch, dass das Player Subject vor spielinterne Handlungsherausforderungen gestellt wird, zu deren Lösung es seine motorischen Fähigkeiten, sein Abstraktions-, Logik- und allgemeines Denkvermögen ebenso einsetzt wie seine ethische Interpretations- und Urteilskraft. Statt als passiver moral zombie, der bloß strategisch und zweckrational den Spielfortschritt vorantreibt und die spielinternen Werte ungefragt übernimmt, ist das Player Subject als moralisch produktiver Akteur anzusehen, der seine spielinternen Handlungen ethisch interpretiert und reflektiert.
    Im Zuge dieser interpretativen Überlegungen bezieht das Player Subject Blickwinkel, Ressourcen und Erfahrungen der anderen Personen in einen "layered interpretational moral process" (118) mit ein, vermittelt diese einerseits miteinander und andererseits mit der konkreten Herausforderung der jeweiligen Spielsituation, bis es zu einer kohärenten Lösung kommt. Durch den Prozess dieses Abwägens und Vermittelns entwickeln die SpielerInnen dann eine sog. Ludic Phronesis – eine aus der Erfahrung des Computerspielens erwachsende moralische Handlungsklugheit, die sich als situationsbezogene Kommunikations- und Vermittlungskompetenz ausdrückt –, deren Erlangung als Mitte und Ziel des ethischen Computerspielens gilt.
    Zusammenfassend lässt sich Sicarts Ethik der Computerspiele darstellen als ein auf Ludic Phronesis zielender und sich in der Spielerfahrung realisierender doppelter Dialog- und Aushandlungsprozess erstens zwischen dem Spiel mit seinen Regeln (und Inhalten) einerseits und der SpielerInnen andererseits, zweitens zwischen den verschiedenen Aspekten der SpielerInen untereinander.

    iii. Andere ethische Akteure

    Neben den SpielerInnen kommt sowohl den SpieldesignerInnen und -programmiererInnen als auch den Distribuierenden und Werbetragenden eine ethische Relevanz zu. Die ethische Aufgabe ersterer besteht darin, das Spiel als Designed Ethical System zu entwerfen und hierfür eine ethisch relevante Offenheit zu implementieren, die stringent so konzipiert ist, dass verschiedene Handlungen unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen und den Spielverlauf auf andere Bahnen lenken. Würden zwei Handlungen auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen, würde dies der Entscheidung ihre Relevanz nehmen und die Ethizität des Ludic Hermeneutic Prozesses untergraben. Die Aufgabe letzterer besteht in einer richtigen Einschätzung der für den ethisch fruchtbaren Spielprozess vorauszusetzenden Ludic Maturity und einer entsprechenden Vermarktung.

    iv. Kritiken an Sicart

    Dieser Gesamtentwurf Sicarts blieb nicht ohne Widersprüche. Exemplarisch kritisiert Woerner (2018) erstens, dass Regeln und Spielwelten nicht so trennscharf voneinander zu scheiden sind, wie Sicart es voraussetzt, sondern sich beide erst gegenseitig interpretieren, sodass Regeln ihre ethische Relevanz sogar erst vor dem Hintergrund der sie beheimatenden Spielwelten gewinnen. Zweitens kritisiert er Sicarts ethische Fokussierung bzw. Reduzierung auf das Spielerleben, welches sich in seiner strikten Trennung zwischen Player Subject und SpielerIn ausdrückt. Eine solche Abschottung beider Personen voneinander und das Ausschließen einer "direct relation between our real-life attitudes and those we adopt in playing" (9) ist unmöglich.


    c. Ethik der Computerspiele II: Inhalte

    Die Einwände gegen Sicart fordern erstens eine stärkere Beachtung der inhaltlichen Aspekte des Computerspiels sowie zweitens eine Mehrbeachtung der Medienwirksamkeit. Letzteres wird an zentralen Studien und Positionen der Medienwirksamkeitsforschung dargestellt, während der Einbezug der inhaltlichen Aspekte am Beispiel virtueller Gewalt im Rahmen des Gamer’s Dilemma aufgezeigt wird.

    i. Medienwirksamkeitsforschung

    Da es zum Thema der Medienwirksamkeit – speziell mit Fokus auf gewalthaltige Computerspiele – eine rahmensprengende Legion an Einzelstudien gibt, werde ich mich an dieser Stelle auf Überblicksartikel und Metastudien konzentrieren.
    Die beiden bislang größten Metastudien stammen von Anderson et al. (2010) sowie von der American Psychological Association (2015) und untersuchen die Auswirkungen von gewalthaltigen Computerspielen auf Aggression, Empathie und prosoziales Verhalten. Als Ergebnis halten beide fest, dass "exposure to violent video games is a causal risk factor for increased aggressive behavior, aggressive cognition, and aggressive affect and for decreased empathy and prosocial behavior" (Anderson et al. 2010: 151). Dabei räumt die American Psychological Association (2015) jedoch ein, dass es stets die Kumulation verschiedener Risikofaktoren ist, die zu gewalttätigem Verhalten führt und Computerspiele nicht allein verantwortlich gemacht werden können.
    Einen kritischen Blick auf die Ergebnisse dieser und ähnlicher Studien werfen Elson and Ferguson (2014). Sie untersuchen verschiedene Studien über den Zusammenhang von Gewalt in Computerspielen und Aggression der letzten 25 Jahre und stellen dabei mehrheitlich Unangemessenheiten und/oder Mängel im Studiendesign, methodologische Beschränkungen sowie nicht-empirisch-nachvollziehbare (Über-)Interpretationen fest. Daraus schließen sie, dass sich die Folgerung der aggressions- und gewaltfördernden Wirkung von Computerspielen nicht mehr zweifelsfrei aufrechterhalten lässt.
    Auf der Gegenseite gibt es auch Studien, die den Zusammenhang von Computerspielen und dem "well-being" und/oder der Verbesserung der emotionalen resp. kognitiven Fähigkeiten untersuchen. So zeigt bspw. die Metastudie von Pallavicini et al. (2018) die Wirksamkeit von Computerspielen auf o.g. Zustände und Fähigkeiten – besonders bei jungen Erwachsenen.
    Zusammenfassend zeigt sich erstens, dass eine "kausale Verbindung zwischen symbolischer Gewalt und gewalttätigen Verhaltensweisen […] sehr schwer zu erfassen" ist und "[d]ie psychologische Forschung […] entsprechend zu unterschiedlichen Ergebnissen" (Ledder 2016: 272) kommt. Zweitens, dass Studienaufbau und experimentelles Design sich stark auf die Ergebnisse der Medienwirksamkeit auswirken. Während Einige angesichts dieser Ergebnisse eine Wirkung von Computerspielen auf das Verhalten marginalisieren, erkennt ein Großteil der Studien doch einen Wirkzusammenhang zwischen beidem.

    ii. Gesellschaftlich vorhandene Gewaltpotentiale

    Während obige Studien Computerspiele auf ihre gewalthervorbringende Wirkung untersuchen, fragen andere, wieso virtuelle Gewaltdarstellungen überhaupt so großen Anklang finden. Medienwirkungsforschung wird bei ihnen im Sinne einer Medienverursachungsforschung, einer "Suche nach den Gründen für jene Faszinierbarkeit großer Publikumsgruppen" (Rathmayr 1996: 13) betrieben.
    In seiner Untersuchung über Gewalt in Computerspielen gesteht Venus (2018) dieser einen "Rationalisierungs- und Entlastungscharakter" (333) zu, insofern sie ein spielerisch-experimentelles Ventil für das anthropologische Gewaltpotential bietet. Das aktuelle Mediennutzungsüberangebot führt jedoch zu einer Konkurrenzsituation und einem "Bewusstsein der Aufmerksamkeitskonkurrenz" (334), was zur Folge hat, dass die in den Spielen angebotenen Reize "tendenziell stärker, unvermeidlicher, somatischer, motivational packender" (334) werden – sprich: es zu einer sich gegenseitig steigernder Spirale virtueller Gewalt kommt.
    Konstruiert man den Zusammenhang zwischen virtueller und realer Gewalt auf diese Weise, ist ein Rückgriff auf Ergebnisse der Gewaltforschung unumgänglich (vgl. Christ 2016; Gudehus & Christ 2013).

    iii. Moralische Relevanz des Inhalts I: Das Gamer’s Dilemma

    Die Frage, ob virtuelle Untaten moralisch verwerflich sind, spitzt Luck (2009) im sog. Gamer’s Dilemma zu. In einem argumentativen Dreischritt stellt er dabei die virtuelle Tötung neben einen fiktiven virtuellen Kindesmissbrauch und schließt die Frage an, wieso im Gegensatz zu virtuellem Töten virtueller Kindesmissbrauch auf intuitive soziale Ablehnung stößt. Nachdem er verschiedene Versuche, einen möglichen moralisch relevanten Unterschied zwischen beiden Darstellungen aufzuzeigen, dekonstruiert hat, stellt er diese ethische Inkonsistenz als bestehendes Paradox in den Raum: "1. Virtual murder is permissible. 2. There is no relevant difference between virtual murder and virtual paedophilia (in respect to permissibility) 3. Virtual child molestation is impermissible." (Luck 2018: 157).
    Seit Lucks Formulierung des Gamer’s Dilemma haben sich mehrere Denker damit auseinandergesetzt. Maßgeblich war Bartels (2011) Argumentation anhand des Begriffs der (Kinder-)*Pornographie: Im Gegensatz zum virtuellen Töten, stellt virtuelle Pädophilie einen Akt der Kinderpornographie dar, der (nicht nur) wegen seiner Sexualisierung von Ungleichheit und der daraus erwachsenden, indirekten negativen Folgen für Frauen moralisch unzulässig ist.
    An diesen Argumentationsstrang knüpft Patridge (2013) an, sucht jedoch eine nicht-indirekte Begründung der moralischen Verwerflichkeit von virtuellem Kindesmissbrauch. Durch seine "representational details" (33) stellt virtueller Kindesmissbrauch eine unmittelbare Nähe zur gelebten moralischen Realität her, weswegen er als Ausdruck der "shared moral values" (32) zu gelten und entsprechend zu verwerfen ist – im Gegensatz zu "run-of-the-mill first person shooters", welche durch ihre Beschaffenheit eine Distanz zur moralischen Realität herstellen.
    Während sich Bartel und Patridge darum bemühen, eine ethisch relevante Differenz zwischen beide virtuelle Akte einzuziehen, verfolgt Ali (2015) die Strategie, das Dilemma aufzulösen, indem er dessen Grundunterscheidung unterläuft. Dies gelingt ihm, indem er den SpielerInnen- und Spielkontext als für die moralische Bewertung virtueller Akte konstitutiven Faktor miteinbezieht und darauf aufbauend Fälle zulässiger virtueller Kindsmisshandlung wie Fälle unzulässiger virtueller Tötungen konstruiert.
    Zuletzt widmet sich Young (2014, 2016) aus metaethischer Perspektive dem Dilemma. Unter Einbeziehung des Constructive Ecumenical Expressivism (CEE) differenziert er zwischen der (moralischen) Haltung zu einem Thema und der Begründung dieser Haltung, welche beide wiederum 1. unabhängig voneinander und 2. an einen gesellschaftlichen Konsens rückgebunden sind. Mithilfe dieser Unterscheidungen kann er die Punkte 1. und 3. des Gamer’s Dilemma anerkennen, ohne einerseits zwangsläufig auch 2. akzeptieren zu müssen und andererseits in einen moralischen Relativismus zu verfallen. Damit unterläuft er die Paradoxie des Gamer’s Dilemma, indem er dessen Schlussfolgerungslogik durch die des CEE austauscht.
    Im Durchgang durch die verschiedenen Lösungsstrategien zeichnet sich ein Trend ab: Während die älteren Beiträge von Bartel und Patridge noch auf rein inhaltlicher Ebene argumentieren, bemühen sich die jüngeren Beiträge von Ali und Young um ein Untergraben der rein inhaltlichen Schlossfolgerungslogik und um ein Einbeziehen von Kontexten. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass eine rein inhaltliche Herangehensweise an das Thema Ethik der Computerspiele ebenso undurchführbar ist wie eine, die die inhaltliche Komponente ausblendet.


    d. Ethik der Computerspiele III: Weitere ethische Aspekte

    Obwohl hier hauptsächlich virtuelle Gewalt diskutiert wurde, kommt auch anderen Themen eine ethische Relevanz zu: Auf Inhaltsebene sind dies v.a. Gender und Ethnizität (vgl. Jansz & Martis 2003); auf Ebene des Gameplays besonders Cheating und Fairness (vgl. Consalvo 2009; Kimppa & Bissett 2005).


    e. Ethik der Computerspiele IV: Theologische Positionen

    i. Kirchlich

    Zwischen Kirche(n) und Computerspielen gibt es sporadische Berührungspunkte: Äußerungen des EKD-Medienbeauftragten (vgl. Steinlechner 2009), Berichte über computerspielende PfarrerInnen (vgl. Schulz 2018) wie Besuche der beiden kirchlichen Medienportale evangelisch.de und domradio.de auf der GamesCon (vgl. Peters 2018; Schienke & Glawion 2015).
    Weiterhin wurde das Computerspiel mit seinen digitalen Welten als Missionsort und Möglichkeit der spielerischen Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben entdeckt. Bspw. treffen sich die "Gameschurch" (Kagermeier 2017) und die "GodSquadChurch" (Schumacher 2018) regelmäßig auf den Plattformen ihrer Wahl zu gemeinsamen Gottesdiensten, Spielen und Gesprächen über Gott. Daneben gibt es Spiele, die dazu anleiten, "spielend [zu] entdecken, wer Gott ist" – sowohl von kirchlicher (EKD 2017) als auch von privater Seite (Josua, 2018).

    ii. Theologisch

    Theologisch hingegen wurde das Thema Computerspiele kaum behandelt. Dem Niemandsland theologisch ethischer Abhandlungen steht eine kleine aber wachsende Zahl an Publikationen aus religionspädagogischer und religionssoziologischer Perspektive gegenüber. Entsprechend werden im Folgenden beide Bereiche vorgestellt, ehe Impulse wie Anknüpfungspunkte für weitere theologische Behandlungen gegeben werden.

    Religionssoziologische Gesichtspunkte

    Von einem substantiellen Religionsbegriff ausgehend, gibt es einige Beiträge, die die religiösen Darstellungsformen und Dimensionen aktueller Computerspiele behandeln: z.B. vom Deutschlandfunk (vgl. Schulz 2018) oder der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (vgl. Pöhlmann 2017).
    Aus religionssoziologischer Perspektive ließen sich Funktionen und Auswirkungen des Computerspiels mittels der Kategorien von Transzendenzbewältigung (Luhmann), Ritualität und Liminalität (Turner), Privatisierung und Individualisierung (Luckmann), Vergesellschaftung und Individuation (Simmel), Sozialintegration (Durkheim) sowie Reinheit und Unreinheit (Wohlrab-Sahrs und Rosenstock) auf deren Religiosität bzw. Religionsaffinität hin befragen. Weiterhin wären auch Betrachtungen aus den Perspektiven einer Medienreligion (vgl. Schilson 1997) sowie einer Populären Religion (vgl. Knoblauch 2009) und ihrer Online-Religion aufschlussreich. 

    Religionspädagogische Gesichtspunkte

    Allgemeinpädagogisch wird das Thema Computerspiele als Unterbereich der Medienpädagogik geführt (vgl. Hoffmann 2003: 266–307; Moser 2010). Religionspädagogisch gibt es zwei Annäherungsmöglichkeiten an das Thema – entweder über das Verhältnis von (analogen) Spielen und Religionspädagogik (vgl. Riegger 2002) oder von Abhandlungen, die sich mit den Auswirkungen der sog. Neuen Medien auf die Religionspädagogik beschäftigen (vgl. Pirner 2012; Scholz 2012) Impulse aus beiden Feldern ließen sich – entweder in Bezug aufeinander oder je einzeln – produktiv aufnehmen und zu einer computerspielbezogenen Religionspädagogik (weiter-)entwickeln.
    Die Relevanz der Behandlung von Computerspielen im Religionsunterricht arbeiten u.a. sowohl Scholtz (2005) und Dinter (2006) als auch Bohrer (2015) mithilfe religionssoziologischer Struktur- und Funktionsähnlichkeit von Computerspielen und Religion heraus: Beide tragen bspw. zur Identitätsentwicklung bei und liefern Identifikationsangebote, wecken und thematisieren Sehnsüchte nach Heimat, ewigem Leben, Gerechtigkeit oder Kontingenzbewältigung, symbolisieren menschliche Grunderfahrungen, strukturieren den Alltag und üben eine (teilweise gebrochene) Faszination aus. Deshalb empfiehlt es sich, beide im Religionsunterricht aufeinander zu beziehen, deren synergische Effekte zu nutzen und entsprechend notwendige Kompetenzen zu schulen.
    Ähnlich geht auch Haack (2010) in ihrer Dissertation vor. In ihrem Verständnis des Religionsunterrichts als Lernspiel wurzelnd (454–455) findet sie "Anknüpfungspunkte für den Religionsunterricht […] v.A. für die Bereiche von Anthropologie (z.B. Identität, Träume oder gelingendes Leben) und Ethik (z.B. Werte und Normen, Konflikte oder Macht)" (469) und arbeitet nicht zuletzt einen Projektvorschlag für die Sekundarstufe I zum Thema Gewalt versus Gewaltlosigkeit am Beispiel eines bestimmten Computerspiels aus.
    Ein methodischer Vorschlag zur religionspädagogischen Umsetzung stammt – unter dem Stichwort Mediennutzungsethik – von Rosenstock (2014). Deren entscheidende Merkmale sind a) das Zusammenspiel von Spielerpartizipation und Narrativität sowie b) die Online-Selbstdarstellung mittels "digitaler Stellvertreter". Sie zielt auf die grundlegenden Medienkompetenzen 1. des alltagsweltlichen Kontexts, 2. des Fairnessprinzips und 3. der Übergänge von Spiel und Alltag, welche sich in den drei Maximen 1. der Selbst- und Mitverantwortung, 2. des gemeinsamen Miteinanders und 3. der Wertorientierung festhalten lassen. Praktisch umgesetzt wird dieser Ansatz in den sich seit 2008 zunehmend verbreitenden ComputerSpielSchulen (vgl. Rosenstock, Schweiger, & Spiecker 2013).

    Ethische Gesichtspunkte

    Aus ethischer Perspektive sind Gesichtspunkte sowohl der Spiel- als auch der Medienethik aufzunehmen und unter den Einsichten einer Ethik der Digitalisierung (vgl. ZEE 2017) zu verknüpfen. Zudem sind religionssoziologische Gesichtspunkte über die substantielle wie funktionale Verwandtschaft von Computerspielen und Religion aufzuarbeiten ebenso wie religionspädagogische Einblicke in die Zentralität von Computerspielen für die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung (nicht nur) Heranwachsender produktiv fortzuführen. Methodisch kann man sich dabei an obigen Herangehensweisen orientieren und auch thematisch sind mindestens o.g. Anfragen auszuarbeiten. Als dezidiert theologische Ethik der Computerspiele kann sie dabei ihre spezifischen Ressourcen zu den Themen Identitätsbildung, Geschichte, Spiel, Gewalt, Erlösungshoffnungen u.v.a.m. einbringen und die allgemein computerspielethische Diskussion produktiv beflügeln.

    Im Bayerischen LehrplanPLUS finden sich Anschlussmöglichkeiten in folgenden Lernbereichen. Für methodische Impulse o.ä., sh. Schrier and Gibson (2010).


    Grundschule

    Ethik, 4. Klasse, Mit Medien kritisch umgehen, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/grundschule/3/ethik#26753


    Mittelschule

    Ethik, 5. Klasse, Spielen, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/mittelschule/5/ethik#72454
    Ethik, 6. Klasse, Elektronische Medien im eigenen Leben, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/mittelschule/6/ethik#72527
    Ethik, 10. Klasse, Angewandte Ethik: Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/mittelschule/10/ethik#74019
    EvRel, 9. Klasse, Zwischen Abhängigkeit und Freiheit, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/mittelschule/9/evangelische-religionslehre/mittlere-reife-klasse#73743


    Realschule

    Ethik, 5. Klasse, Spielen, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/5/ethik#62838
    Ethik, 6. Klasse, Freizeitgestaltung, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/6/ethik#62925
    Ethik, 6. Klasse, Elektronische Medien im eigenen Leben, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/6/ethik#62930
    Ethik, 8. Klasse, Ethik in der Welt der digitalen Medien, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/8/ethik#63088
    Ethik, 10. Klasse, Angewandte Ethik: Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/10/ethik#63235
    EvRel, 9. Klasse, Arbeit und Freizeit, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/9/evangelische-religionslehre#62730
    KathRel, 10. Klasse, Grenzen erkennen – auf der Suche nach dem rechten Maß, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/realschule/10/katholische-religionslehre#62415


    Gymnasium

    Ethik, 5. Klasse, Spielen, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/5/ethik#207974
    Ethik, 6. Klasse, Umgang mit Medien, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/6/ethik#196842
    Ethik, 10. Klasse, Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/10/ethik#218090
    EvRel, 9. Klasse, Frei im Netz!?, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/9/evangelische-religionslehre#217134
    KathRel, 7. Klasse, Auf dem Weg zu mir selbst – Herausforderungen im Jugendalter, https://www.lehrplanplus.bayern.de/pdf/add/214474
    KathRel, 12. Klasse, Christliche Ethik als Orientierungsmaßstab der Weltgestaltung, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/12/katholische-religionslehre#50795


    Wirtschaftsschule

    Ethik, 8. Klasse, Ethik in der virtuellen Welt, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/wirtschaftsschule/8/ethik/vierstufig#36686
    Ethik, 10. Klasse, Angewandte Ethik: Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/wirtschaftsschule/10/ethik/vierstufig#36946
    EvRel, 9. Klasse, Arbeit und Freizeit, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/wirtschaftsschule/9/evangelische-religionslehre/vierstufig#37281
    KathRel, 10. Klasse, Grenzen erkennen – auf der Suche nach dem rechten Maß, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/wirtschaftsschule/10/katholische-religionslehre/vierstufig#36482


    Fachoberschule

    Ethik, 10. Klasse, Angewandte Ethik: Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/fos/10/ethik#126127
    EvRel, 10. Klasse, Im Netz, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/fos/10/evangelische-religionslehre#126246


    Berufsoberschule

    Ethik, 10. Klasse, Angewandte Ethik: Medienethik, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/bos/10/ethik#115069
    EvRel, 10. Klasse, Im Netz, https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/bos/10/evangelische-religionslehre#116257
     

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    Veröffentlicht am 11.10.2017 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Tretter, M.: Art. "Computerspiele" (Version 1.0 vom 11.10.2017), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://ethik-lexikon.de/lexikon/computerspiele.